Kraniche fliegen zu ihren Schlafplätzen

Auf dem Herbstzug: Rast an der Boddenküste
Es ist ein ganz besonderes Naturschauspiel, das mein Mann und ich Ende September 2021 auf einer Reise zur Vorpommerschen Boddenküste erleben. Einige Tausend Kraniche sind aus ihren Brutgebieten im Baltikum und Skandinavien zurückgekehrt, rasten jetzt für einige Wochen an der Küste, um dann weiter in den Süden zu fliegen, wo sie den Winter verbringen werden.

Kraniche fliegen abends zu ihren Schlafplätzen

Ein Trupp Kraniche landet auf einer kleinen Insel

An einem recht milden, regenfreien und leicht sonnigen Tag stehen wir kurz vor Sonnenuntergang auf einer kleinen Plattform direkt an der Küste vor der Insel Zingst. Es dauert gar nicht lange, bis die ersten Kraniche über dem Wald erscheinen. Ihre Rufe sind von Weitem zu hören. Viele kleine und größere Trupps fliegen dicht vorbei, um dann in den flachen Wasserflächen und im Ufergebiet der kleinen gegenüberliegenden Insel zu landen. Sicher vor Füchsen und Wildschweinen können sie hier die Nacht verbringen.

Kraniche beim Herabschweben zu ihren Schlafplätzen

Kraniche kurz vor der Landung

Die großen Vögel bei der Landung zu beobachten, treibt mir immer wieder ein Lächeln ins Gesicht: Zu witzig ist der Anblick, wenn die großen Vögel ihre Beine nach unten strecken, ihre Flügel ausbreiten und zur Landung herunterschweben. Neben den Kranichen sind auch viele andere Vögel in dem Gewässer unterwegs: Gänse, Höckerschwäne, Kiebitze, Stare und viele andere Vögel. Es ist eine unglaubliche Vielfalt, die wir hier zu sehen bekommen. Nach einer Weile kehrt ein wenig Ruhe ein: Der Einflug der Kraniche scheint vorbei zu sein. Die relativ wenigen Menschen, die mit uns an der Plattform stehen, verlassen in der hereinbrechenden Dunkelheit den Ort. Wir stehen alleine hier draußen und blicken im letzten Licht des Tages auf die unendlichen Weiten der Boddenküste.

Kraniche fliegen zu ihrem Schlafplatz

Dann hören wir doch wieder Kraniche. Noch einmal kommen sehr viele Vögel in kleinen Trupps, diesmal fliegen sie sogar direkt über uns und wir können nicht nur die Rufe der erwachsenen Tiere, sondern auch das Fiepen der Jungvögel, die so mit ihren Eltern kommunizieren, hören. Dort draußen, alleine in der weiten Landschaft zu stehen, nur noch die unendlich vielen Rufe der Kraniche zu hören, gibt diesem Moment das Besondere und Einzigartige (und lässt die Mücken, die in ihrer Anzahl die Kraniche bei Weitem übertroffen haben und uns auf dem Rückweg attackiert haben, schnell vergessen).

Anlenkfütterung der Kraniche am Günzer See 

Ortswechsel: Wir sind ganz von Zingst aus zum Günzer See gefahren. Dort befindet sich die vom NABU 2015 neu aufgebaute Beobachtungsplattform „Kranorama“. Hier werden Kraniche gefüttert: Es handelt sich um sog. Ablenkungsfütterungen, um die Vögel von Ackerflächen fernzuhalten und so Schäden für die Landwirte zu vermindern. Durch die Fütterungen werden die Kraniche sehr dicht an die Beobachtungsplattform herangelockt. An diesem leider etwas verregneten, trüben Tag stehen ca. 800 Vögel mit beeindruckender Geräuschkulisse auf dem Feld. Es ist fantastisch, sie aus dieser geringen Distanz zu beobachten. Ich bekomme einen Eindruck von der imposanten Größe dieser Vögel. Mit einer Körpergröße von ca. 1,20 Meter und einer Flügelspannweite von über zwei Metern gehören Kraniche zu den größten Landvögeln.

Fliegende Kraniche

Trompetende Kraniche

Futterstreit bei den Kranichen

Kraniche werden gestört und fliegen auf

Auf dem Feld herrscht ein munteres Kommen und Gehen: Immer wieder überfliegen Kraniche das Feld und landen zwischen den anwesenden Tieren. Die meisten Vögel sind auf Nahrungssuche, einige putzen ihr Gefieder, einige recken ihren Kopf in die Höhe und trompeten laut, andere ruhen. Einige der Kraniche halten Wache, sie haben den Kopf oben. Als ein Seeadler am Horizont auftaucht, fliegen fast alle Kraniche auf. Unter den Vögeln gibt es immer wieder Streit über das verfügbare Futter. Die Erregung der Vögel lässt sie kleine Tänze (ähnlich wie bei der Balz) vollführen. Deutlich zu erkennen ist die schwarz-weiß-rote Kopfzeichnung der erwachsenen Vögel. Unter den Vögeln sind auch viele Jungtiere: Sie haben einen einheitlich braun gefärbten Hals und noch keine Kopfzeichnung. Die Jungtiere verbleiben bei ihren Eltern und fliegen gemeinsam mit ihnen in den Süden (im Gegensatz zu den Weißstörchen, bei denen die Jungstörche alleine vor den Eltern fliegen).

Kraniche auf dem Feld beim Fressen

Auf meinen Fotos entdecke ich einen Kranich mit Farbringen. Nach Eingabe der Farbringe auf einer Meldeplattform erhalte ich zu dem Tier den kompletten Lebenslauf: Dieser Kranich ist 2009 in Schweden aus dem Ei geschlüpft und wurde dort beringt. Regelmäßig fliegt er nach Südfrankreich, wo er die Winter verbringt. Im Herbst ist er oft am Günzer See zu sehen.
Leider zwingen uns die kühlen Temperaturen diesen hübschen Ort recht bald zu verlassen.

 Kraniche stehen auf einem Feld bei Linum

Wir fahren nach Linum, einem Ort in Brandenburg. Auch hier sammeln sich jährlich viele Tausend Kraniche auf ihrem Weg in den Süden. Verdeckt aus dem Gebüsch bieten sich an einer ehemaligen Aussichtsplattform ganz außergewöhnliche Blicke auf die vielen Kraniche, die sich auf dem großen Feld versammelt haben.

Eine Kranichfamilie fliegt zum Feld

Kraniche landen auf einem Feld

Kranichfamilie mit Jungtier

Kraniche stehen auf einem Feld

Die Vögel verteilen sich zunehmend, ständig kommen neue Tiere hinzu. Einige Kraniche stehen sehr dicht hinter den Büschen und auch hier können wir viele Jungtiere erkennen. Befremdlich ist die Gänsekanone, die ganz in der Nähe in unregelmäßigen Abständen Schüsse abgibt. Anscheinend freuen sich hier nicht alle Menschen über die Gäste aus dem Norden...

Kraniche werden gestört

Kraniche fliegen durch eine Störung auf

Die großen Vögel sind extrem vorsichtig (ihre Fluchtdistanz liegt bei 300 Metern). Als plötzlich alle Vögel den Hals nach oben recken, ist offensichtlich, dass sie irgendetwas beunruhigt. Wenige Sekunden später fliegen die Vögel auf.

 Kraniche am roten Abendhimmel auf dem Weg zum Schlafplatz

Ein ganz besonderes Erlebnis ist die „Kranich-Fahrt“ mit einem Schiff entlang der Boddenküste. Bei fantastischem Licht geht der Ausflug am frühen Abend los. Wir stoppen nach kurzer Fahrt entlang der Küste und warten auf die Kraniche, die vom Festland kommend zu ihren Schlafplätzen fliegen. Von der gegenüberliegenden Insel ist das Röhren der Hirsche zu hören und wir können sie sogar in der Ferne auf den Dünen sehen. Ein Hirsch hat sogar den Bodden durchquert (Fotos davon kannst du in der Galerie „Impressionen vom Bodden“ und im Bilder-Blog "Schwimmender Hirsch" anschauen). Kurz vor Sonnenuntergang kommen die ersten Kraniche. Sie landen noch weiter hinten auf den Inseln.

Kraniche am Abendhimmel

Kraniche landen zum Schlafen im Wasser

Kraniche am Abendhimmel

Dann werden es immer mehr Vögel, die am Horizont auftauchen. Von allen Seiten kommen sie und gehen nun in dem flachen Wasser vor der Insel hinunter. Unglaubliche Mengen Vögel fliegen mit lautem Trompeten direkt am Schiff vorbei. Der Strom der Vögel hört nicht auf. Es ist beeindruckend, welche Mengen hier unterwegs sind (an dem Wochenende wurden 28.000 Kraniche in dem Gebiet gezählt!). Schnell ist die Sonne am Horizont verschwunden und hat den Himmel feuerrot werden lassen. Dazu der Kontrast des stahlblauen Wassers mit den gerade noch zu erkennenden Kranichen, die dicht zusammengedrängt im flachen Wasser stehen: Ein traumhafter Moment, der kaum schöner sein könnte!

Kraniche stehen an ihrem Schlafplatz im Wasser